Burn-out und andere psychische Erkrankungen sind die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit, zeigt die Analyse eines Lebensversicherers. Das hat mit steigender Belastung zu tun, sagt ein Experte – aber auch mit einer gesellschaftlichen Veränderung.
Wenn Menschen an Burn-out, Depressionen oder Angststörungen leiden, kann das zu Einschränkungen im Job, Fehlzeiten oder sogar zur Berufsunfähigkeit führen. Immer mehr Menschen in Deutschland scheinen aufgrund solcher psychischer Erkrankungen sogar berufsunfähig zu werden. Das legt eine Auswertung der Daten des Versicherers Swiss Life nahe. Demnach waren diese Leiden im vergangenen Jahr mit 37 Prozent die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit. 2009 waren es noch 26,6 Prozent.
„Einerseits ist die psychische Belastung in der Arbeitswelt gestiegen“, erklärt Ulf Rinne vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), „nicht zuletzt durch die zunehmende Entgrenzung von Arbeit und Freizeit.“ Das könne zu Überforderung und Stress auf der Arbeit führen. „Andererseits sind psychische Erkrankungen nicht mehr so stigmatisiert und werden tendenziell häufiger diagnostiziert.“
Bei Frauen gehen laut der Swiss-Life-Auswertung 44 Prozent der Berufsunfähigkeiten auf eine psychische Erkrankung zurück, bei Männern sind es lediglich 28 Prozent. Außerdem werden Frauen häufiger bereits in jungen Jahren psychisch krank, bei Männern treten diese Diagnosen erst in der zweiten Lebenshälfte vermehrt auf.
Die zweithäufigste Ursache für Berufsunfähigkeit sind laut der Auswertung Krankheiten des Bewegungsapparats (24 Prozent). Danach folgen Unfälle (14 Prozent), Krebserkrankungen (9 Prozent) sowie Herz- und Kreislauferkrankungen (8 Prozent). Das Unfallrisiko ist wiederum bei jungen Männern bis 30 Jahren am höchsten. Jede dritte Berufsunfähigkeit in dieser Gruppe ist die Folge eines Unfalls; bei Frauen ist es nur jeder zehnte Fall.
Insgesamt muss nach Berechnungen von Versicherungen rund jeder Vierte im Laufe seines Arbeitslebens den zuletzt ausgeübten Beruf einschränken oder aufgeben. Eine Berufsunfähigkeit ist aber nicht zwangsläufig dauerhaft. Durch Therapien oder Reha-Maßnahmen können betroffene Personen ganz oder teilweise genesen und in das Berufsleben zurückkehren. Auch Umschulungen sind eine Möglichkeit, um wieder arbeiten zu können. Männern gelingt die Rückkehr an den Arbeitsmarkt häufiger als Frauen. Eine Erklärung: Psychische Leiden, an denen Frauen häufiger leiden, sind tendenziell langwieriger als andere Erkrankungen.
Auch die Rentenversicherung registriert in den vergangenen zehn Jahren eine besonders starke Zunahme psychischer Erkrankungen: 2018 wurden über 170.000 stationäre Rehabilitationen wegen psychischer Krankheiten bewilligt, über 50.000 mehr als zehn Jahre zuvor.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte von der Bundesregierung konkrete Schritte, um Beschäftigte besser zu schützen. Sie solle eine „Anti-Stress-Verordnung“ auf den Weg bringen, erklärte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. „Die Betriebe brauchen eine Richtschnur für einen besseren Schutz der Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen.“
Quelle: WELT 25.04.2019